Als Kind wuchs ich zwischen Tieren auf:

Unser Hund Wuffi, der ein echter Hofhund war und nie ins Haus durfte.

Kleine Kätzchen, die wir im Dielenschrank zwischen den alten Mänteln fanden,

 wo unsere Katze sie zur Welt gebracht hatte,

Kleinen Gänseküken, die am Küchenherd mit Brennnesselquark aufgepäppelt wurden.

Hühner, die uns mit Eiern belieferten und der Hahn, der mich mit seinem Gekrähe am Morgen weckte.

Tauben auf dem Dach, deren vertrautes Gurren noch heute heimatliche Gefühle in mir weckt.

Kühe, aus deren Euter wir uns die lauwarme Milch direkt in den Mund spritzten.

Schweine, die fürchterlich quiekten und die ich nie in ihrem Stall besuchte,

vielleicht, weil ich wusste, dass sie bald auf meinem Teller landen würden.

Ratten, vor denen ich mich fürchtete, wenn sie mir im Rübenkeller über den Weg huschten.

Mäuse, die uns im Winter heimlich im Bett besuchten. Meistens bemerkten wir es erst am nächsten Morgen am Kot, den sie hinterließen.

Massenweise Fliegen, die im Misthaufen des Nachbarn, direkt vor unserer Haustür brüteten und die meine Mutter regelmäßig „vergaste“, weil sie diese Plage den Feriengästen aus der Stadt nicht zumuten konnte.

Spinnen in den Gästezimmern zur Fliegenbekämpfung waren nicht erwünscht. Ich fing sie mit leeren Marmeladen und fütterte sie mit Fliegen.

Dreimal im Jahr kam der Metzger auf den Hof, um das Schwein zu schlachten. Der Schlachttag begann am frühen Morgen, um 6 Uhr, selbst im Winter, wo es um diese Zeit noch dunkel war.

Ich schlief in einem Zimmer, dessen Fenster direkt zum Schweinestall hinausging. Am Vorabend stopfte ich mir Watte in die Ohren, damit ich die Schreie und den Todesschuss nicht hörte.

Wenn ich eine Stunde später aufstehen musste, kam ich meistens gerade richtig zum Blutrühren. Auf nüchternen Magen stieg mir der Geruch der warmen Flüssigkeit in der Nase und verdarb mir jeglichen Appetit auf die Wurst, die später daraus hergestellt wurde. Ich bevorzugte die Leberwurst, die mittags warm aus dem Schlachtkessel zum Sauerkraut auf meinen Teller kam.

Am späten Nachmittag verließ der Metzger das Haus. Der Geruch des Schlachtfestes hing noch tagelang in der Küche.

 

 

Nach dem Abitur zog ich in die Stadt, um zu studieren.

In meiner Studentenbude gab es keine Tiere. Nicht einmal Fliegen und ganz selten mal eine Spinne.

In meinem Zoologieseminar begegnete mir wieder das Tier, vor dem ich mich im Rübenkeller so gefürchtet hatte.

Rattus rattus lag tot vor mir und ich sollte es sezieren, um die inneren Organe kennenzulernen.

Tettigonia viridissima musste ich das Strickleiternervensystem herausoperieren. Dabei dachte ich daran, wie oft ich seinen hüpfenden Artgenossen auf der Wiese hinter unserem Haus beobachtet hatte.

Bufo Bufo bekam im lebenden Zustand mit geöffneter Brust Elektroden ans Herz angeschlossen. Was hatte mich diese Tiergattung im Frühjahr durch lautes Gequake am Dorfweiher erfreut.

Blatta orientalis hatte ich vorher noch nie gesehen. Nach Öffnen des Brustschildes schlug mir ein bestialischer Gestank entgegen. Mein Vater erzählte mir hinterher, dass so mancher Wirt in Rothenburg mit diesem Tier zu kämpfen hatte.

Gastropoda Erinaceus musste ich zum Glück nicht sezieren, da dieses Tier von mir frei erfunden ist. Eine kleine Sprachspielerei mit den lateinischen Namen, die ich während des Studiums auswendig können musste.

In meiner Sprache tauchten Tiere in unzähligen Formen auf. Ich benutzte sie als Schimpfwörter und Kosenamen, Redenswendungen gingen wir über die Lippen, ohne dass ich mir ihrer Präsenz bewusst war.

Mit dem Heranwachsen der Kinder kam das Thema „Haustiere“ auf. Kathrin wollte einen Hund, Fabian eine Katze. Ich konnte mich mit beiden nicht anfreunden, da ich es nicht gewohnt war, dass sich diese Tiere im Haus aufhielten.

Der Kompromiss hieß Schneewittchen und war ein weißes Meerschweinchen. Leider lebte es nur zwei Tage, weil die Nachbarjungs, die zu Besuch waren, es als Spielball benutzten.

Harry und Hugo, ebenfalls Meerschweinchen, lebten mehrere Jahre bei uns und hatten mit Auslauf im Garten ein relativ gutes Leben.

Heute bekomme ich täglich Besuch von der Nachbarkatze Balou, die in meinem Garten fleißig Wühlmäuse fängt.

Ich esse kein Fleisch mehr. Auch keinen Fisch.

Fliegen töte ich noch immer.

 

 

 


Straßenköder, Mischtechnik 2017